Interview mit Kirsten Boie Teil 1/3

„Schreiben ist nichts anderes, als Lesen im eigenen Kopf!“

Netterweise hat sich die bekannte Kinder- und Jugendbuchautorin Kirsten Boie Zeit für ein Interview mit mir genommen. Fast jedes Kind kennt bestimmt eine ihrer Geschichten: Egal ob Möwenweg, Sommerby, der kleine Ritter Trenk oder ihre Friedhofkrimis: Kirsten ist in vielen verschiedenen Genres vertreten. Hier erzählt sie mir von Schreibflow, dem E-Mail beantworten, und dass Schreiben immer das Schöne am Tag ist.

Was ist für dich das Schönste am Schreiben?

Ich kann es ganz schwer erklären. Das Schönste für mich ist glaube ich, wenn ich in einer Geschichte drin bin und das Schlimmste für mich ist es vor einer Geschichte. Wenn ich ungefähr weiß, was ich will, aber noch nicht genau und deshalb auch nicht anfangen kann. Das ist so ein Wartezustand und auch ‘ne große Verunsicherung jedes Ma. Aber wenn ich dann drin bin und schreibe ist das so ein tolles Gefühl. Du kennst ja auch diesen Begriff „Flow“, ne?

Ja!

Das ist natürlich der totale Flow und man sagt dann immer, dass man nicht merkt, wie die Zeit vergeht und das stimmt tatsächlich. Wenn ich später sehe, wie spät es ist, dann staune ich manchmal und an anderen Tagen, an denen ich nicht schreibe und sehe wie viel in diese Zeit reinpasst, wie lange die Zeit eigentlich ist. Da denk ich immer: „Das merkst du beim Schreiben überhaupt nicht!“. Ich glaube das ist das Tollste! Und ich denke, das ist so, weil es ja im Grunde wie lesen ist. Es ist nichts anderes, als Lesen im eigenen Kopf. Du weißt es vorher nicht und es taucht einfach immer auf, es kommt wieder und wieder was und ich wusste es vorher nicht. Das ist total spannend.

Also planst du es nicht vorher genau durch oder machst du es einfach beim Schreiben?

Doch, ich plane schon, wobei ich es ganz spannend finde, das machen ja alle Autoren unterschiedlich. Ich habe neulich an einem Tag Äußerungen von Cornelia Funke und J. K. Rowling gelesen und es heißt immer Cornelia wäre die deutsche J. K. Rowling. Rowling sagt, sie plant bis ins letzte Detail und Cornelia sagt, sie lässt sich überraschen beim Schreiben. Ich bin so zu sagen -obwohl ich völlig andere Bücher schreibe- die Kombination aus beiden. Ich kann erst anfangen, wenn ich denke, ich weiß genau, wie das Buch gehen wird. Ich schreib mir dann auch so ‘nen Ablauf hin, nur in Stichworten, aber so, dass ich glauben kann: Ich weiß, wie das Buch laufen wird. Und so bald ich anfange zu schreiben, ändert es sich. Dann passiert es, dass mir alles mögliche einfällt, von dem ich ja vorher noch gar nichts wissen konnte, weil ich meine Charaktere nicht so genau kannte. Und dann ändert sich der Plan in der Regel, manchmal sehr stark und manchmal nur ein bisschen. Manchmal passiert es auch, dass es sich so sehr ändert, dass ich aufhören muss!

Echt?

Ja, natürlich! Viel öfter, als du denkst! Ich habe so viele abgebrochene Manuskripte, dass sage ich auch immer, wenn Leute mich fragen, wie dass ist mit dem Schreiben und wenn man irgendwann nicht mehr weiter weiß. Ich sage, dass ist ganz normal! Auch bei mir sind wahrscheinlich ungefähr so viele Manuskripte abgebrochen wie fertig gestellt. Damit muss man einfach leben, aber wenn es einem schon zigmal passiert ist, trifft es einen nicht mehr so. Ich weiß halt, das ist so und dann beunruhigt es mich nicht: Also ich bin ‘ne Mischung aus totaler Planung und spontanem Schreiben.

Und hast du das auch schon so gemacht, als du dein erstes Buch geschrieben hast oder bist du da ganz anders rangegangen?

(überlegt) Mein erstes Buch hat mich total überrumpelt. Du weißt ja, wie ich zum Schreiben gekommen bin, also dass ich ein Kind adoptiert hatte und zu meiner Verblüffung nicht arbeiten durfte, weil das Jugendamt das verboten hat. Was schon damals grotesk war. Menschen in meinem Alter fanden das schon damals total verrückt. Jetzt konnte ich nicht mehr Lehrerin sein, war ‘ne Mischung aus wütend und verzweifelt. Und dann habe ich gedacht, ich schreibe einfach so Heftromane, das krieg ich bestimmt hin -also große Literatur kriege ich nicht hin-, ich hatte ja Literaturwissenschaften studiert und da wusste ich, was alles dazu gehört. Ich dachte, das muss ich gar nicht versuchen, aber solche Heftromane schaffe ich. Ich denke damit habe ich meinem Unterbewusstsein erlaubt wieder übers Schreiben nachzudenken. Weil als ich so alt war wie du, habe ich ja viel geschrieben, aber das habe ich mir später verboten und ich denke damit hatte ich jetzt wieder die Erlaubnis… Wahrscheinlich hat mein Unterbewusstsein gedacht: „Also Kirsten, du denkst zwar, du kannst Heftromane schreiben, aber das kannst du doch nicht so gut.“ Und dann hat es mir die ersten Sätze zu meinem Buch einfach zugespielt, sie waren ungerufen, plötzlich da.

Und das ist ein Buch über ein adoptiertes Kind und da ist es ein bisschen anders, es hat keine durchgehende Handlung. Jedes Kapitel ist abgeschlossen immer über die selbe Person: Den Jungen Paule und seine Familie und Freunde. Da musste ich keine lange Handlung durchplanen, für jedes Kapitel hat ja die Grundidee gereicht, insofern fällt das etwas raus.

Ah, okay! Ich würde gerne noch etwas anderes fragen und zwar: Hast du ein Buch, welches dir beim Schreiben total viel Spaß gemacht hat?

Wirklich jedes. Alle auf unterschiedliche Weise, es macht natürlich einen riesen Unterschied, ob du so etwas schreibst wie „Sommerby“ , wobei wenn man sich als Leser wohlfühlt -zumindest hoffe ich das- (lacht), fühlt man sich auch beim Schreiben wohl. Aber ich habe auch sehr, sehr ernste Bücher geschrieben, Anfang des Jahres ist ja eines erschienen, das am Ende des zweiten Weltkrieges spielt; „Dunkelnacht“. Das ist eine wahre geschichte, das ist so düster, das kann man kaum noch toppen. Und da fühlt man sich beim Schreiben…

…Nicht wohl?

Völlig anders! Aber dieser Flow ist trotzdem da, verstehst du?

Ja!

Das ist ja nicht anders dieses, dass man total in Verbindung ist mit sich selbst. Dass einem das Unterbewusstsein einen Satz nach dem anderen zuspielt und das man darüber glücklich ist. Aber die Stimmung mit der ich aufstehe vom Laptop nachdem ich geschrieben habe, die ist eine völlig andere. Eigentlich bin ich beim Schreiben immer glücklich, nur bei manchen Projekten ist es fröhlicher und bei anderen ernster. Ich könnte gar nicht schreiben, Neele, wenn das nicht so wäre! Ich weiß von Autorinnen und Autoren, die zum Teil hervorragende Bücher schreiben, die quälen sich mit jedem Satz. Das hätte ich nie gedacht, wenn ich diese Bücher lese, denke ich, denen geht es genau so.

Denen geht das von der Hand, denkt man.

So könnte ich nicht schreiben! So diszipliniert wäre ich nicht, wenn ich leiden würde, würde ich nicht dabei bleiben. Für mich ist es ja schön!

Aber was machst du denn so außer dem Schreiben gerne?

Ich habe gar nicht mehr so viel Zeit für viel außerhalb des Schreibens. Das Bücher schreiben selbst schluckt gar nicht so viel Zeit, das schätzt man wahrscheinlich falsch ein.

Ich denke immer, dass das voll lange dauert, so ein ganzes Buch zu verfassen. Ich habe schon einmal mit jemandem gesprochen, der meinte, bei ihm hätte das ganz schön lange gedauert.

Vielleicht waren die Bücher dicker. Wenn es einem dann so geht wie mir, dass man so gerne schreibt, dann schafft man es einigermaßen schenll weg. Die meiste Zeit am Tag verbringe ich tatsächlich damit alle meine Mails zu lesen und zu beantworten. Zum Teil sind das nette Lesermails, das sind sozusagen die Highlights. Die schlucken nicht viel Zeit. Das Meiste sind dann doch die Anfragen. Ich habe über hundert Bücher geschrieben (steht im Internet und das glaube ich einfach). Das heißt aber auch, dass ganz viele Anfragen zu ganz vielen verschiedenen Büchern kommen. Zu Verfilmungen, Projekten, Übersetzungen… Das sind bei mir am Tag zwischen 50 und 200 Mails. Die sind nicht kurz, haben in der Regel einen komplizierten Anhang und das muss ich alles lesen. Ich kann gar nicht alles beantworten und habe eine ganz tolle Assistentin, Maren Strobel, ohne die könnte ich gar nicht leben! Dazu habe ich noch Agenten für die verschiedenen Sachen, also die gehören nicht nur mir, die machen das auch für andere, aber eben auch für mich: Theateragentin, Filmagentin, Agentin für ausländische Rechte, es gibt Leute, die Veranstaltungen planen und organisieren – So etwas mache ich gar nicht. Aber wenn diese Mails kommen, muss ich sie erst mal lesen. Hinterher muss ich mit den Leuten klären, wie man damit umgehen soll. Das schluckt jeden Tag ganz viel Zeit. Inzwischen viel mehr, als am Anfang, weil es ja auch mehr Bücher gibt. Das Schreiben schluckt weniger Zeit und ist immer das Schöne am Tag.

So. Und mit diesem schönen Einblick in Kirstens Alltag beende ich den ersten Teil des Interviews. Wenn ihr neugierig geworden seid, dürft ihr ganz bald schon Teil 2 hören. Seid ihr gespannt? 😍 Um bis dahin mehr über diese tolle Autorin zu erfahren, klickt gerne hier.

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